Predigten aus dem Alltag

„Ein Segen sollst Du sein“ – Predigt aus dem Alltag
Georg Steiner, Geschäftsführer des Tourismusverbandes Ostbayern
Donnerstag, 6. Mai 2004 – Spectrum Kirche Passau Mariahilf

 

Liebe Mitchristen,
wenn ich zu Ihnen eine Predigt aus dem Alltag halten soll, so möchte ich Sie zunächst mit meinem Alltag vertraut machen.

Ich bin zum einen Ehemann und Vater von zwei Kindern mit 11 und 14 Jahren. Zum anderen bin ich Geschäftsführer des Tourismusverbandes Ostbayern, einem freiwilligen Zusammenschluss aller 16 Landkreise Niederbayerns und der Oberpfalz sowie rd. 300 Kommunen zur Förderung des Tourismus in unserer Heimat.

Ich gebe zu, dass diese berufliche Tätigkeit meinen Alltag in hohem Maße bestimmt und die Familie häufig zu kurz kommt.

Die Freude am Beruf, aber auch die vielfältigen Erwartungen in einer Zeit, die vielfach von Rückgängen, dem Abbau von Arbeitsplätzen und Ängsten über die Zukunft unserer Region geprägt sind, führen dazu, dass man sich davon fast verzehren lässt.

Zölibat auch für Touristiker habe ich schon manchmal überlegt? Nein – eine Familie und ein geordnetes privates Umfeld schaffen auch einen Gegenpol, der für mich wichtig ist.

 

Mein religiöser Alltag ist davon geprägt, dass ich in einem katholischen Elternhaus aufgewachsen bin und sehr viel an Ritualen, religiös geprägtem Familienleben und Tradition mitbekommen habe. Das versuche ich auch an meine Kinder weiterzugeben.

Ich war Ministrant, Posaunist in verschiedenen Bläsergruppen der Diözese Passau – ausgehend von St. Josef Passau-Auerbach über St. Severin in Heining bis zum Hohen Dom. Über 25 Jahre hat mich diese musikalische Tätigkeit begeistert und auch geprägt – heute bin ich noch Mitglied des Kirchenchores in St. Severin der Pfarrgemeinde Heining.

Basis für einen Kirchenmusiker ist die Kenntnis der Liturgie – der Spannungsbogen eines Kirchenjahres und die „Inszenierung“ eines Gottesdienstes oder einer religiösen Feier.

Persönlichkeiten, die mich geprägt und auch gefördert haben waren dabei der frühere Kirchenmusikdirektor P. Norbert Weber, der jetzige Kirchenmusikdirektor Heinz Walter Schmitz, Musiklehrer Hans-Joachim Feser und auch Altbischof Antonius Hoffmann.

 

Und damit komme ich zu den Verbindungen, Schnittpunkten meiner religiösen Prägung und Einstellungen und meiner beruflichen und privaten Erfahrungen, Ziele, Ideale.

 

„Ein Segen sollst Du sein“, diesem Ausspruch aus dem 12 Kapitel Genesis stelle ich mir immer wieder vor Augen, wenn ich die Ansprüche an mich definiere.

Am schwersten fällt das zuhause. In der Öffentlichkeit ist man im Rampenlicht. Die Mitarbeiter, die Politik, die vielen Betriebe, aber auch die Presse – haben einen ständig im Visier – zuhause hängt man leichter einmal durch. Und trotzdem – gerade hier gelten die hohen Ansprüche zuerst. Nur wenn die „Innenpolitik“ geordnet ist, lässt sich überzeugend „Außenpolitik“ machen.

Wo hilft hier die Heilige Schrift, die sonntägliche Messe oder andere Orientierungshilfen unserer kirchlichen Gemeinschaft?

Gegenseitiger Respekt, Akzeptanz und Vertrauen – gegenüber der Ehefrau und gegenüber den Kindern sind Grundregeln, die eingehalten werden müssen und die das gegenseitig bereichernde Zusammenleben erst ermöglichen.

Dazu kommen Rituale, die sich auch aus dem kirchlichen Festkalender ableiten, die aber jede Familie nach ihren Maßstäben auch individuell entwickelt, und die zum Wohlfühlen und zur Entlastung beitragen.

 

Nun zum Tourismus, meinem – zugegeben – weit größerem Zeit- und Alltagsanteil. Drei Bereiche arbeite ich heraus, die mir wichtig sind und an denen ich mich – gerade als katholischer Christ – zu orientieren versuche:

  • Tourismus und (Gast)freundschaft
  • Umgang mit den Menschen
  • Die Suche nach dem Rhythmus

Eines der liebsten Bücher für Personalführung ist für mich  „Menschen führen – Leben wecken“ von P. Anselm Grün, dem Cellerar des Benediktinerklosters Münsterschwarzach.

„Ora et labora“ ist dabei für mich auch die Erkenntnis, dass Wirtschaften und Spiritualität sich nicht ausschließen, sondern eine Ergänzung bilden. Mehr Benedikt und weniger McKinsey empfiehlt sich nicht nur für kirchliche Reorganisationsprozesse!

Gerade die Gastfreundschaft spielt beim Heiligen Benedikt eine wichtige Rolle. Damit sind wir auch beim Tourismus unserer Tage. Natürlich ist Tourismus ein Geschäft und die Umsätze unserer Gäste sollen dazu beitragen, dass Niederbayern und die Oberpfalz eine gute wirtschaftliche Entwicklung nehmen können, dass wir Arbeitsplätze für unsere Menschen anbieten können und dass auch für unsere Bevölkerung eine hohe Lebensqualität erreicht werden kann. Als Passauer Verkehrsdirektor war für mich dabei der Dom nicht nur „Objekt der Begierde“ eines Touristikers, sondern auch Raum und Mittelpunkt großer religiöser Erlebnisse. Ich bin  zwar leider dort nicht gefirmt worden, habe aber viele Hochämter mit der Bläsergruppe musikalisch begleitet – auch mit großem Respekt im Schatten unserer mächtigen Orgel. Als Stadtführer und Repräsentant der Stadt habe ich vielen Gästen erläutert, was es mit dem Ausspruch des heiligen Stephanus „ich sehe den Himmel offen“ auf sich hat. Wie sich daraus das Programm für die Ausstattung des Domes entwickelt hat, welch imposanten Eindruck die Vierungskuppel mit dem großartigen Gemälde von Carpoforo Tencalla und der Hochaltar von Prof. Henselmann auf einen macht – nicht nur ich selbst, auch viele Gäste waren immer beeindruckt und haben sicherlich mehr als kunsthistorische Daten mitgenommen.

Als ich Prokurist bei der Donauschifffahrt Wurm + Köck war, hatte das Trappistenkloster Engelszell für mich eine starke Anziehungskraft und  es begeisterte viele Gäste – sowohl durch die Ausstrahlung des Kirchenraumes für die Seele wie auch durch den Klosterlikör für den Leib. Nun spielen für mich in ganz Ostbayern die zahlreichen Dome, die großen Barockkirchen, Klöster und Sakralbauten eine zentrale Rolle. Es gibt sicherlich wenige Tourismusverbände, die in ihren Publikationen und Marketingmaßnahmen dem Religiösen und Sakralen einen so breiten Raum geben. Wollen wir Tourisitiker damit nur „Geschäft“ machen oder geht es um mehr?

Ehrlich gesagt, blutete mir manchmal das Herz, wenn ich mit Vertretern der Kirche solche Diskussionen führen musste. Natürlich sind viele Besucher in Kirchen auch eine Belastung. Aber haben wir nicht gerade im Urlaub die große Chance, an Menschen heranzukommen, die schon lange keinen Bezug zu Religiösem mehr haben. Menschen, die freiwillig in ein Gotteshaus, in ein Orgelkonzert oder in ein Kloster kommen. Gäste, die sich unsere Kulturführer, Kirchenführer oder CD’s erwerben und mit nach hause nehmen – und dann sieht man das als Last , als Kommerzialisierung anstatt als pastorale Herausforderung.

Ich glaube, dass der Urlaub mehr denn je die Chance ist, unsere Gäste in einem ganz anderen Umfeld anzusprechen und sie auf neue Weise mit fundamentalen Fragen zu konfrontieren. Zehntausende kommen zum Kötztinger Pfingstritt, zum Englmari-Suchen, zum Jodoksritt und zu den Leonhardiritten und zu vielen anderen, religiös geprägten Ereignissen – neudeutsch sagt man auch Events. Und als Touristiker muss ich mich immer wieder entschuldigen, dass solche Feste touristisch „vermarktet“ werden, anstatt dass man gerade hier ansetzt und diese Gäste an die Hand nimmt, sich der biblischen Gastfreundschaft wieder besinnt und Chancen der Pastoral nutzt. Viele weitere Gelegenheiten für ein neues Erleben von Religiosität warten – im Bayerischen Wald genauso wie im Rottaler Bäderdreieck. Es ist mir ein Anliegen, die Verknüpfungen zwischen Kirche und Tourismus im Sinne einer echten Partnerschaft intensiver zu gestalten. Die Gastfreundschaft kann dabei eine gemeinsame Basis für die Begleitung und Ansprache unserer Gäste sein. Nicht nur in unserer Region, gerade in unsern Kirchen und Klöstern soll dieses Gefühl erlebbar sein.

 

Der Umgang mit Menschen

Ich bleibe beim Buch von P. Anselm Grün. Es geht dort um die Frage, wie einer, der führen soll, beschaffen sein muss wie er an sich arbeiten muss um überhaupt führen zu können. Mein direkter Mitarbeiterstab umfasst 14 Menschen. Ein weit größeres Feld sehe ich aber in der gesamten Hotel- und Gaststättenbranche, wo ich viele Möglichkeiten habe, „inspirierend“ immer wieder das Wort zu ergreifen und die Bereiche „Gastfreundschaft“, „Dienstleistung“ und „Mitarbeiterorientierung“ zu betonen.

Die Arbeit als ein Ort der Heiterkeit, Inspiration und Liebe, ein Ort, an dem sich jeder persönlich entfalten kann, ein Ort, an dem unsere Seele angesprochen und beflügelt wird – so interpretiert Anselm Grün das benediktinische Führungsmodell, das einige – aber immer noch zu wenige Firmen – neuerdings für sich entdecken.

Die genannten Dinge sind aber aus meiner Sicht Voraussetzung, um gerade im Tourismus erfolgreich sein zu können. Wenn Arbeit Freude und Erfüllung bringt, können all jene Wirkungen erzielt werden, die beim Gast spüren lassen, dass man ihn mag, dass er willkommen ist und nicht nur seines Umsatzes wegen gesehen wird. Ich gehe meiner Arbeit gerne nach, sie macht mir Spaß und begeistert mich jeden Tag aufs Neue. Diese Grundphilosophie entnehme ich den Regeln des Heiligen Benedikts und es ist mir ein Anliegen, dort wo ich die Dinge gestalten kann, ein solches Klima zu schaffen.

Ich war einige Jahre hier in Passau Vorsitzender des Gewerbeverbandes. Unsere erfolgreichsten Veranstaltungen waren dabei die „Niederbayerischen Motiviationsforen“ und die „Abende zur Chefpraxis“. Ziel war dabei immer, bei unseren mittelständischen Unternehmern für diese Führungsphilosphie den Boden zu bereiten. Aus der Freude heraus tätig zu sein, ist eine zutiefst christliche Einstellung und wir sollten noch mehr unternehmen, um wenigstens jene, die aus diesem Umfeld kommen, als Botschafter für diese Einstellungen zu gewinnen.

 

Ich komme zum dritten und letzten Bereich

Es geht uns – gerade auch mir – zunehmend der Rhythmus verloren. Die Geschäfte haben jeden Tag und fast rund um die Uhr offen. Im Internet ist alles immer verfügbar. Der kirchliche Jahreskreis verliert seine Bedeutung, er wird immer weniger wahrgenommen. Die Feiertage werden zurückgedrängt. Die Börse nutzt jeden Tag um zu handeln. Der berufliche Alltag – auch meiner – wird immer stressiger, d.h. auch bezüglich der eingesetzten Zeit wird die Nacht zum Tag und umgekehrt. Die globalisierte Welt und die Reduzierungen in allen Bereich haben dazu geführt, dass diejenigen, die noch Arbeit haben, viel zu viel arbeiten müssen und sollen.

Man gönnt sich ein paar Tage Auszeit in einem tollen Hotel und nennt das dann Wellness. Die Wellness-Welle ist in den letzten Jahren über den Tourismus geschwappt – ist sie schon am Höhepunkt oder erst in ein paar Jahren? Für mich stellt sich die Frage: Was kommt danach? Meine Hypothese lautet: Die Suche nach dem neuen Rhythmus.

Wenn ich morgens nach Regensburg fahre, blicke ich neidisch auf Niederalteich oder Metten, wo die Mönche wohl gerade Ihr Chorgebet sprechen.  Wo ist der Wochenrhythmus hingekommen, wie wir ihn aus der Schöpfungsgeschichte kennen und ein Jahresrhythmus, wie wir ihn aus unserer christlich-abendländischen Kultur über viele Jahrhunderte zu unserem Nutzen gepflegt haben, aber offensichtlich nicht mehr schätzen?

Neue Ansätze für die Rhythmisierung des Lebens sind angesagt – ein Zusammenwirken von Religion und Wellness-Branche ist in zahlreichen Klöstern bereits erlebbar.

Die Botschaft für mich lautet aber auch, dass man das im sehr persönlichen Bereich wieder entdecken und praktizieren kann, in der Teilnahme am Gemeindeleben, am Sonntagsgottesdienst und an kirchlichen Ritualen während des ganzen Jahres – nicht nur zur Verschönerung oder Umrahmung bei Hochzeit, Firmung oder Beerdigung, sondern als Bestandteil des Lebens.

Ich fühle mich im Sonntagsgottesdienst im Rahmen unserer Liturgie wohl. Das ist Kontemplation, Einkehr und Anregung gleichermaßen. Nachdem ich die ganze Woche mit modernen Medien, ob Laptop, Overhead, Flipchart oder Pinwand umgeben bin, brauche ich das im sonntäglichen Gottesdienst nicht. Die Ausstattung der Kirche, der Altarraum, die Fresken und Bilder, die liturgischen Gewänder, biblischen Texte, die Predigt und die passende Kirchenmusik – das ist für mich ausreichend, weiteren didaktischen Firlefanz erwarte ich nicht. Im Bistumsblatt habe ich in der aktuellen Ausgabe den Leitartikel des Chefredakteurs zu „Redemptionis sacramentum“ gelesen und habe mich wiedergefunden, als er schrieb: „Es kam und kommt ja immer noch vor, dass manche Leute am Sonntag in die Kirche gehen mit der Furcht „was kommt heute wieder auf uns zu?“ oder mit der Erwartung „was wird heute geboten?“ Beides ist dem Sinn und dem Wesen der Messfeier zutiefst zuwider.“

Kurzum: Das Hochhalten der Liturgie mit all ihren Elementen der Inszenierung, die heute noch beispielhaft sind und Rhythmisierung im besten Sinne darstellen, ist mir ein Anliegen.

Auch ich bin nur ein Mensch, und wollte alle Eindrücke einer idealisierten Lebensgestaltung – die auch mir noch nicht gelungen ist – vermeiden. Gerne verwende ich den Ausspruch des Philosophen Sören Kirkegaard, der sagt: „Wehmütig grüßt der, der ich bin, den der ich sein könnte“.

Schließen möchte ich mit einem sehr weisen Gebet des evangelischen Theologen des 18. Jahrhunderts, Friedrich Christoph Öttinger, woran ich mich immer wieder gerne orientiere:

„Gott gebe mir die Gelassenheit, die Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden“.

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